23.02.22, 12:18 Theaterstück über Gleichstellung – Im Wald wartet nur das schlechte Gewissen | Der Bund

Im Wald wartet nur das schlechte Gewissen

Wie frei ist man als Frau heute wirklich? Der Theaterabend «La Cabane – die Hütte» im Berner Schlachthaus-Keller hat eine klare Botschaft.

Lena Rittmeyer, publiziert: 17.02.2022, 15:56

© Yoshiko Kusano

Eindringlich als dreckbesudelte Aussteigerin: Nina Mariel Kohler im Stück «La Cabane».

Foto: Yoshiko Kusano

Da liegt sie im Dreck, die namenlose Frau. Dabei hat sie sich doch Ruhe erhofft in dieser Waldhütte, Erholung vom schlechten Gewissen, das sie als berufstätige Mutter immer wieder einholt, Abstand von den urteilenden Blicken. Weiter kommt sie aber auch hier im Keller des Schlachthaus-Theaters nicht, wo sie umgeben von Haselnusssträuchern einem kleinen Publikum, sitzend auf Baumstrünken, ihre Lage schildert.

Die klingt bei Nina Mariel Kohler ziemlich ausweglos: Die Berner Schauspielerin stemmt den Abend «La Cabane – die Hütte» ganz allein – als abgekämpfte Aussteigerin, die an der Frage verzweifelt, wie man als Frau berufliche Ambitionen mit dem Muttersein vereint. Oder warum man sich überhaupt entscheiden muss zwischen Kind und Karriere, während Väter scheinbar alles problemlos unter einen Hut bringen und am Wochenende auch noch biken gehen.

Freier als vor 150 Jahren?

Es sind nicht unbedingt Probleme, die man in dieser Form zum ersten Mal hört. Das macht sie allerdings auch nicht weniger dringlich. Gerade auch, weil der Stücktext im realen Leben verankert ist beziehungsweise auf Antworten basiert, die Regisseurin Sandra Forrer von verschiedenen Frauen – einige davon sind Berner Theaterschaffende – auf einen Fragenkatalog zum Thema Gleichstellung bekommen hat.

Nina Mariel Kohler gibt

dem Frust eine Stimme,

den viele berufstätige

Frauen und Mütter

verspüren dürften.

In dieser «Cabane» entfaltet sich ein Gefühl der Beklemmung: Nina Mariel Kohler spielt die junge Mutter in Jeans eindringlich bitter, die eine Auszeit von den ständigen Versagensängsten sucht und nun freudlos Äste sammelt und Socken wäscht. Sie gibt jenem Frust eine Stimme, den viele berufstätige Frauen und Mütter verspüren dürften – und der die Frage nahelegt, in welchen Lebensbereichen man als Frau heute wirklich freier ist als noch vor 150 Jahren.

Der Vergleich ist beabsichtigt: Der Monolog wird immer wieder von Audioeinspielungen unterbrochen – gesprochenen Tagebucheinträgen von einer gewissen Elisabeth von Matt, die sich 1874 in genau dieser Hütte verkroch. Auch sie suchte eine Auszeit von gesellschaftlichen Erwartungen und der Enge von Geschlechterrollen und hatte doch auch andere Beweggründe als die Protagonistin auf der Bühne: Von Matt, eine Frauenrechtlerin, versteckte sich hier teilweise zusammen mit ihrer Liebhaberin, mit der sie sich auch über politische Veränderungen wie etwa die damalige Verfassungsrevision und die Einführung des Referendumsrechts austauschte.

Wenig Brüchigkeit

Ein galliges Lachen geht durch den Schlachthaus-Keller, als Elisabeth von Matt gar optimistisch schätzt, das Frauenstimmrecht werde hierzulande frühestens mit der Jahrhundertwende eingeführt. Es sollte bekannterweise noch fast 100 Jahre länger dauern – und ähnlich schleppend scheint sich der Fortschritt heute auf gesellschaftlicher Ebene zu gestalten. Jedenfalls, sobald man eine Familie gründet: «Die Gleichstellung endet spätestens mit einem Kind», sagt die Frau auf der Bühne einmal.

© Yoshiko Kusano

Freudloses Sockenwaschen: Die Protagonistin sucht die Einsamkeit.

Foto: Yoshiko Kusano

Diese Botschaft schwebt über der ganzen Inszenierung der Gruppe Heiniger/Forrer (Dramaturgie: Sibylle Heiniger). Und so richtig sie sein mag – in ihrer Deutlichkeit lässt sie wenig Raum für Ambivalenzen, für brüchige Töne. Am stärksten schillert der Abend dort, wo der Stücktext von Sandra Forrer poetisch wird: Wenn Nina Mariel Kohler ihr Herz als zitternden Kiefernzapfen beschreibt und davon fantasiert, sich in der Erde einzugraben. Dann bekommt «La Cabane» eine überraschende Sinnlichkeit. Und man meint, im Schlachthaus-Keller sogar die gewitterfeuchte Waldluft riechen zu können.

Weitere Vorstellungen bis 26. Februar 2022. Alle Termine sind bereits ausverkauft.

Publiziert: 17.02.2022, 15:56

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